Liebe Freunde
John, Schützling und jüngster Angestellter unserer Schule, wird vielleicht sein Leben lang am Rande der Gesellschaft stehen. Als Dreijähriger erkrankte er an Malaria. Doch weil die nie behandelt wurde, behielt er einen bleibenden Gehirnschaden. Seine intellektuellen Fähigkeiten sind dadurch erheblich eingeschränkt. Sein Onkel, bei dem er damals aufwuchs, verfügte weder über das Geld noch das Wissen, um ihm eine Behandlung zu ermöglichen. Aber er war ein fürsorglicher Onkel. Er liebte und pflegte John wie seinen eigenen Sohn. Heute, da der Onkel selbst krank ist, sorgt John für ihn. So, wie ein Sohn für seinen kranken Vater sorgt.
John ist etwa 17 Jahre alt. Er lebt in unserer Kids Pioneers School. Sie ist nur wenige Kilometer von der Siedlung entfernt, wo sein Onkel lebt. Weil wir John vom ersten Moment an mochten, schufen wir ihm eine Arbeit in unserer Schulfarm. Er hütet heute unsere Tiere: Schweine, ein wenig Federvieh, eine Ziege und zwei Hunde. Bei ihnen hat er seinen Platz gefunden. Denn sein Herz schlägt für „seine“ Tiere, das spürt man sofort. Er geht ihnen nicht von der Seite. Ja, am liebsten schläft er auch neben ihnen – so sehr sorgt er für sie.
John ist ein positiver Mensch, der nie klagt. Seine Verantwortung erlebt er als Aufgabe und Geschenk. Was ihm die frühe Krankheit an Intellekt raubte, schenkte ihm das Leben an Empathie. Er liebt Menschen, Tiere, seinen Onkel, seine Arbeit. Er findet das Glück in vielen Dingen. Und sein Glück steckt auch andere an. Wohl auch deshalb besuchen ihn unsere Schüler/innen während fast jeder Pause.
Kürzlich nahm ich mit John an einem „Run for Fun“ teil, den die benachbarte Kirchgemeinde organisiert hatte, um Hilfe für die Ausbesserung ihres Kirchdaches zu erhalten. Kids of Africa stellte ein Kontingent von 48 jungen Läufern. Frühmorgens liefen wir am Kirchplatz ein. Es war nebelverhangen und matschig. In der Nacht hatte es stark geregnet. In der Luft schwirrten Millionen von Ein-Tages-Fliegen, die einem bei jedem Atemzug in den Hals geraten. John und ich starteten nebeneinander. Doch schon nach Sekunden war John nur noch von hinten zu sehen. Es war mehr als eindrücklich. Er lief, nein, er rannte als hätte er unbegrenzte Kondition. Während er die zehn Kilometer als Gesamtsieger in nur 32 Minuten – in Flip-Flops – absolvierte, benötigte ich für dieselbe Strecke mindestens zehn Minuten länger. Wir begrüssten uns am Kirchplatz. Er wirkte so ausgeruht wie zu Beginn des Laufes.
Ich genoss erschöpft frisches Wasser und gemeinsam applaudierten wir den weiteren Läufern. Bis sich, wenig später, der Himmel zu öffnen schien und eine selbst für Zentralafrika unerhörte Regenflut auf uns niederging. Wir suchten Schutz im Kirchraum. Es war ein fast magischer Moment. Durch die Fenster fiel intensives Morgenlicht ein, während der Regen mit ohrenbetäubendem Lärm auf das löchrige Dach prasselte. Doch noch bevor der Regen verebbte, begaben sich John und drei Schüler spontan an die im Kirchraum stehenden Trommeln und improvisierten. Ihr rythmischer Trommelwirbel liess die dampfende und schwitzende Läuferschar verstummen. Es war eine jener ungeplanten Sternstunden, welche das Leben so unverhofft bereichern können. Die Vier steigerten ihre Virtuosität als hätten sie ein Leben lang miteinander gespielt. Nur ein tiefes Vertrauen der Spieler untereinander, aber auch die elektrifizierende Kraft des Rhythmus kann solche Momente ermöglichen. Selten habe ich ein solches Fest der Gemeinschaft, der Lebensfreude erlebt. Magische Momente wie diese, wecken grosse Dankbarkeit. An alle, die für die Schützlinge von Kids of Africa so ein gutes Leben ermöglich. Das wissen hier alle. Darum will und soll ich hier in ihrem Namen an Sie ausrichten: Vielen, herzlichen Dank!
Herzliche Grüsse
Ihr Burkhard Varnholt